Wer schreibt hier: Siegbert Rudolph
von Der Lesekoch
„Warum soll ich den Absatz noch einmal lesen?“, diese mürrische Frage haben viele Eltern oder Lesetrainer sicher schon gehört. Die Schüler sind es nicht gewohnt, viel zu repetieren. Schließlich gilt das Wiederholen bei modernen Pädagogen als langweilig. Man setzt mehr auf kognitive Anstrengung. Bei der Rechtschreibung wird das besonders deutlich: Einige wenige Rechtschreibregeln scheinen deutlich leichter lernbar zu sein als die richtige Schreibung von tausenden Wörtern. Die modernen Pädagogen haben aber übersehen, dass früher über eine sehr lange Zeit keine freien Texte geschrieben wurden und die Kinder viel Zeit zum Erlernen der Rechtschreibung durch Wiederholung, also durch Abschreibung, hatten. Zu diesem Thema gibt es einen Blog von mir mit dem Titel: Denken beim Schreiben. Aber auch beim Lesen gibt es die gleiche Entwicklung in der Lehre, weg von der Induktion zur Deduktion. Wann ein Vokal kurz oder lang zu lesen ist, das haben wir beim häufigen gemeinsamen Lesen, dem Chorlesen, das damals zum Standardrepertoire eines jeden Volksschullehrers gehörte, automatisch gelernt, ohne uns um die Theorie kümmern zu müssen. Und die falsche Betonung des schwachen e´s in der Reduktionssilbe (Beispiel: Hase) haben wir uns gar nicht erst angewöhnen können. Siehe meinen Blog „Oft unbeachtet: der Schwa-Laut“.
Ein schönes Beispiel für das Lernen durch ständiges Nachahmen und Wiederholen habe ich vor kurzem beim Besuch eines meiner Stammlokale erlebt. Die Wirtsleute haben ein kleines Kind, das gerade in die Schule gekommen ist. Ich habe mich erkundigt, wie es dort läuft. Sehr gut, meinte die Wirtin. Aber die Tochter habe ein Problem, weil sie die anderen Kinder ständig korrigiere, wenn die etwas sagen, was grammatisch nicht korrekt ist. Das Kind beherrscht die deutsche Sprache perfekt, ohne eine einzige Regel zu kennen. Es hat ständig mit Erwachsenen kommuniziert, mit den Eltern, den Großeltern und Gästen im Gasthaus, und die einfach immer wieder nachgeahmt.
Wenn einer meiner Schüler die eingangs genannte Frage stellt, will ich von ihm wissen, ob er in einem Sportverein ist oder ein Musikinstrument spielt. Es ist dann leicht zu erklären, dass Wiederholungen ganz normal sind. Zum Beispiel wird der Frei- oder Eckstoß beim Fußball zigmal wiederholt, und zwar so lange, bis er sitzt.
Und dass man ohne Üben mit seinem Musikinstrument nicht besser wird, das weiß auch jeder. Beim Lesen und Schreiben muss aber oft an dieses Grundprinzip allen Lernens erinnert werden. „Lesen ist für den Geist, was Gymnastik für den Körper ist.“ Dieser uralte Spruch von Joseph Addison (1672-1719) trifft den Nagel auf den Kopf.
Beim Lesen sind Wiederholungen besonders bei noch unsicheren Lesern wichtig. Jeden Satz bzw. Absatz, der nur sehr mühsam erlesen wurde, lasse ich wiederholen.
In meinem Übungssystem, das ich über meine Internetseite kostenlos zur Verfügung stelle, weil ich ehrenamtlich tätig bin, arbeite ich mit kurzen Texten, bei denen ich die Wiederholungen durch abwechslungsreiche Übungen realisiere. Ich versuche immer, eine Übung in einer Trainingseinheit abzuschließen. Es kommt nicht darauf an, alle Übungen zu machen. Man kann einzelne Teile weglassen. Die Übung „Ein Elefant auf Reisen“ ist ein besonders kurzes Beispiel aus meinem Übungsfundus, hier aus dem Ordner Klasse 2+/Texte:
Download der PowerPoint-Datei: Ein Elefant auf Reisen
Download der interaktiven PDF-Datei: Ein Elefant auf Reisen
Wiederholungen fehlen meist in Büchern, die in Schulbibliotheken stehen, und die oft von Lesepaten zum Üben mit ihren Lesekindern verwendet werden. Wenn zu oft Wiederholungen künstlich eingebaut werden, ist der Fortschritt im Buch gebremst. Die Wiederholungen werden als lästig empfunden. Wenn man mit Lesekindern richtige Bücher liest, sollten die Schüler nicht zu schwach sein. Man kann dann auch Tandemlesen praktizieren, was insbesondere zur Verbesserung der Leseflüssigkeit dient.
Eine gute Möglichkeit ist das Dialoglesen. Man liest abwechselnd, einen Satz der Erwachsene, das Kind liest leise mit, den nächsten Satz liest das Kind laut, usw. Und nach ein paar Sätzen wiederholt man den Absatz in umgekehrter Reihenfolge. Die Absätze, die wiederholt werden, sollten aber nicht zu lang sein. Wenn der Erwachsene liest, könnte das Kind mit dem Finger den gelesenen Text nachfahren. Man kann das Dialoglesen auch spannender machen, um sicherzugehen, dass das Kind auch wirklich mitliest. Der Erwachsene erklärt, dass er plötzlich aufhören wird zu lesen und dass das Kind an dieser Stelle dann weiterlesen soll. Der Erwachsene sieht, wann es für das Kind schwierig werden wird, und setzt dann wieder ein. Interessant ist es auch, in Rollen zu lesen, wenn der Text das hergibt, also auch die Stimme der Rolle anzupassen.
Bei sehr schwachen Schülern lese ich zu Anfang des Trainings auch viel vor. Der Schüler wiederholt in kurzen Abständen. Beim Wiederholen achte ich darauf, dass der Text nicht einfach memoriert wird. Sollte das der Fall sein, muss die zu wiederholende Textmenge erhöht werden.
Meine Lieblingsübung für noch sehr schwache Leser ist die Lesepyramide. Damit lassen sich mit sehr schwachen Schülern mit einfachen Wiederholungen im ständig länger werdenden Satz schnell die ersten Leseerfolge erzielen.
Die Übungsdateien mit den Lesepyramiden enthalten zusätzlich Wörterübungen einschließlich Blitzlesen.
Download der PowerPoint-Datei: Lesepyramiden 05 Vogel
Download der PDF-Datei: Lesepyramiden 05 Vogel
Wiederholungen funktionieren nur dann besonders gut, wenn das Leistungsniveau stimmt. Nur so wird die Sicherheit erhöht. Ein zu hoher Schwierigkeitsgrad überfordert und demotiviert. Das wird in der Praxis nicht immer beachtet. Man übt auf dem Level der Klasse, das der Schüler aber bei weitem noch nicht erreicht hat. Zum Beispiel bringt es bei vielen Rechtschreibfehlern oft gar nichts, wenn man alle Fehlerwörter mehrmals richtig schreiben lässt. Der Schüler kann keine Systematik erkennen. Genau die Systematik unserer Sprache ist aber die Grundlage der heutigen Lehre.
Beim Lesen wird oft mit zu schwierigen Texten geübt. Wenn in der Klasse alle Schüler den gleichen Text lesen, der genau auf dem geforderten Niveau der Klasse liegt, sind schwache Schüler überfordert. Die Übung rauscht bei ihnen durch. Beim Leseband, einer aktuellen Maßnahme zur Verbesserung der Lesefertigkeit durch konsequentes tägliches Üben, versucht man dieses Problem durch Tandemlesen in den Griff zu bekommen. Man bildet Teams, in denen schwache Schüler als „Sportler“ mit guten Schülern (Trainern) gemeinsam lesen. Aber eigentlich bräuchte man für die schwachen Schüler angepasste Texte. Bei FILBY, der Fächerintegrierten Leseförderung Bayern hat man inzwischen ein Variante für DaZ mit einfacheren Texten erstellt.
Ich übe sehr viel mit Witzen. Neben meinen PowerPoint-Übungen gibt es auch eine Sammlung in meinem Buch. Das kann für alle schwachen Leser ab der Klasse 2 zum Üben eingesetzt werden.
Grundlage einer Übungseinheit sind sechs kurze Witze, bei denen die Pointe aus einer Auswahl herauszufinden ist. Das gibt gleich Rückschlüsse zum Leseverständnis. Wenn die Pointe gefunden ist, wird der Witz noch einmal zügig gelesen. Danach kommen Wiederholungsübungen, ähnlich wie im Beispiel oben gezeigt, in denen die Wörter der Witze anders arrangiert werden.
Eine Leseprobe (Kapitel 25) enthält die Übungswörter in Silben zweimal, einmal mit Sprech- und einmal mit Dudensilben.
Buch „Leseförderung mit Witzen, Rezension, Leseprobe und Bestellung: https://der-lesekoch.de/lesefoerderung/mein-uebungsbuch/
Die Kraft der Wiederholung wird bei jeder Übung deutlich. Meinen Schülern erkläre ich gleich zu Beginn des gemeinsamen Übens, dass bei mir viel wiederholt wird und warum. Es macht Freude zu sehen und es macht zuversichtlich, wie die Schüler zum Schluss der Übung die Aufgaben viel leichter bewältigen als am Anfang und damit motiviert bleiben.
Siegbert Rudolph
Siegbert Rudolph
Ehrenamtlicher Lese- und Rechtschreibtrainer
Oberasbach | Deutschland
Ehrenamtlicher Lese- und Rechtschreibtrainer, im bezahlten Arbeitsleben Vorstand für Service und Vertrieb bei DATEV eG
Eigene Plattform – der-lesekoch.de - für alle, die sich mit Lese- und Rechtschreibförderung beschäftigen
Training mit mehr als 120 Kindern, meist Legasthenikern
Zurzeit Begrenzung auf Online-Lese--Förderung weniger Kinder sowie Online-Beratung von Eltern, Lesepatenschulungen, Elternabende und Vorträge an Schulen