Die Kraft der Wiederholung

März 13, 2025

Wer schreibt hier: Siegbert Rudolph

von Der Lesekoch

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Die Kraft der Wiederholung

„Warum soll ich den Absatz noch einmal lesen?“, diese mürrische Frage haben viele Eltern oder Lesetrainer sicher schon gehört. Die Schüler sind es nicht gewohnt, viel zu repetieren. Schließlich gilt das Wiederholen bei modernen Pädagogen als langweilig. Man setzt mehr auf kognitive Anstrengung. Bei der Rechtschreibung wird das besonders deutlich: Einige wenige Rechtschreibregeln scheinen deutlich leichter lernbar zu sein als die richtige Schreibung von tausenden Wörtern. Die modernen Pädagogen haben aber übersehen, dass früher über eine sehr lange Zeit keine freien Texte geschrieben wurden und die Kinder viel Zeit zum Erlernen der Rechtschreibung durch Wiederholung, also durch Abschreibung, hatten. Zu diesem Thema gibt es einen Blog von mir mit dem Titel: Denken beim Schreiben. Aber auch beim Lesen gibt es die gleiche Entwicklung in der Lehre, weg von der Induktion zur Deduktion. Wann ein Vokal kurz oder lang zu lesen ist, das haben wir beim häufigen gemeinsamen Lesen, dem Chorlesen, das damals zum Standardrepertoire eines jeden Volksschullehrers gehörte, automatisch gelernt, ohne uns um die Theorie kümmern zu müssen. Und die falsche Betonung des schwachen e´s in der Reduktionssilbe (Beispiel: Hase) haben wir uns gar nicht erst angewöhnen können. Siehe meinen Blog „Oft unbeachtet: der Schwa-Laut“.

Ein schönes Beispiel für das Lernen durch ständiges Nachahmen und Wiederholen habe ich vor kurzem beim Besuch eines meiner Stammlokale erlebt. Die Wirtsleute haben ein kleines Kind, das gerade in die Schule gekommen ist. Ich habe mich erkundigt, wie es dort läuft. Sehr gut, meinte die Wirtin. Aber die Tochter habe ein Problem, weil sie die anderen Kinder ständig korrigiere, wenn die etwas sagen, was grammatisch nicht korrekt ist. Das Kind beherrscht die deutsche Sprache perfekt, ohne eine einzige Regel zu kennen. Es hat ständig mit Erwachsenen kommuniziert, mit den Eltern, den Großeltern und Gästen im Gasthaus, und die einfach immer wieder nachgeahmt. 

Wiederholungen sind beim Üben die Normalität

Wenn einer meiner Schüler die eingangs genannte Frage stellt, will ich von ihm wissen, ob er in einem Sportverein ist oder ein Musikinstrument spielt. Es ist dann leicht zu erklären, dass Wiederholungen ganz normal sind. Zum Beispiel wird der Frei- oder Eckstoß beim Fußball zigmal wiederholt, und zwar so lange, bis er sitzt.

Und dass man ohne Üben mit seinem Musikinstrument nicht besser wird, das weiß auch jeder. Beim Lesen und Schreiben muss aber oft an dieses Grundprinzip allen Lernens erinnert werden. „Lesen ist für den Geist, was Gymnastik für den Körper ist.“ Dieser uralte Spruch von Joseph Addison (1672-1719) trifft den Nagel auf den Kopf. 

Beim Lesen sind Wiederholungen besonders bei noch unsicheren Lesern wichtig. Jeden Satz bzw. Absatz, der nur sehr mühsam erlesen wurde, lasse ich wiederholen. 

Übungsbeispiel

In meinem Übungssystem, das ich über meine Internetseite kostenlos zur Verfügung stelle, weil ich ehrenamtlich tätig bin, arbeite ich mit kurzen Texten, bei denen ich die Wiederholungen durch abwechslungsreiche Übungen realisiere. Ich versuche immer, eine Übung in einer Trainingseinheit abzuschließen. Es kommt nicht darauf an, alle Übungen zu machen. Man kann einzelne Teile weglassen. Die Übung „Ein Elefant auf Reisen“ ist ein besonders kurzes Beispiel aus meinem Übungsfundus, hier aus dem Ordner Klasse 2+/Texte:

  • Aufwärmübung, die mit den längeren Wörtern vertraut macht, und zwar durch die Darstellung in Silben. Wir lesen so: Rei, Reise, Reisebe, Reisebeglei, Reisebegleiter. Dabei sieht man aber immer schon das gesamte Wort grau hinterlegt. Bei schon sichereren Schülern wird nur die unterste Zeile des Wortes gelesen. Für jede Zeile wird geklickt.

    Ich habe mich vor Jahren entschieden, bei der Silbenkennung die Sprechsilben zu markieren. Das gibt bei einigen Wörtern Abweichungen zu den Duden-Silben. Aber es macht keinen Sinn, für einen schwachen Leser zum Beispiel beim Wort singen das ng zu trennen, um ihm dann zu sagen, dass er die beiden Buchstaben n und g im Wort „sin-gen“ zusammenziehen soll. Oder: Doppelkonsonanten werden nur in der ersten Silbe gelesen, es ist deshalb nicht förderlich, sie bei der Leseunterstützung auf zwei Silben zu verteilen. 
  • Der Text ist meist mit einer Silbenkennung versehen. Oft gibt es den Text auch zweimal, nämlich mit und ohne Silbenkennung.
  • Als erste Wiederholungsübung werden nach dem Text die einzelnen Wörter des Textes isoliert angezeigt. Wörter, bei denen es noch hapert, werden mehrmals wiederholt.
  • In Sätzen aus dem Artikel sind in der Aufgabe „Du bist der Lehrer“ Fehler zu finden. Das fördert das genaue Hinschauen, das Kind kann hier nicht oberflächlich lesen.
  • Die nächste Wiederholungsübung ist eine Wörterschlange. Außerdem sollen einige Wörter von hinten und ein auf den Kopf stehender Text gelesen werden. Geht das besser als sonst, liest der Schüler bevorzugt von rechts nach links. Das kommt öfter vor als man denkt, siehe meinen Blogbeitrag „Phänomen – Leseversuche von rechts“. Macht diese Darstellung bei einem Kind Probleme, lässt man sie einfach weg.
  • Auf der Seite Wörterassoziationen ändern sich die Übungswörter immer nur geringfügig. Die einzelnen Zeilen lasse ich, wenn möglich, bei einer Wiederholung auf gern schnell lesen. 
  • In der Wortschatzübung sind die unpassenden Wörter in der Reihe zu markieren. Diese Übung kostet manchmal Zeit, wenn einzelne Begriffe zu erklären sind.
  • In der nächsten Aufgabe sind Fragen zum Text mit JA oder NEIN zu beantworten. 
  • Eine Lesepyramide und das Blitzlesen runden die Übung ab. Die beiden Übungen garantieren einen positiven Abschluss der Übungseinheit. Die Blitzleseübung ist bei meinen Schülern besonders beliebt. Ich stelle die Geschwindigkeit mit einem Makro, das mit Klick auf das rote Metronom rechts oben aufgerufen wird, immer so ein, dass ich ziemlich sicher bin, dass mein Schüler es schafft und ich ihn loben kann.

    Danach wecke ich den Ehrgeiz. Und tatsächlich, alle Schüler wollen es ein bisschen schneller noch einmal probieren. Dabei kann ich die Reihenfolge der Wörter von meinem Makro mischen lassen. Damit man einzelne Wörter gegebenenfalls noch einmal in Ruhe üben kann, können die Wörter auch ohne Animation angezeigt werden.  Siehe oben im Bild.

    Ähnlich sind viele meiner Text- und Witzeübungen aufgebaut. Es gibt unterschiedliche Wiederholungsvarianten. Weitere Wiederholungsmöglichkeiten sind Sätze, die in die richtige Reihenfolge gebracht werden müssen oder Schüttelsätze, bei denen zunächst die Wörter nicht in der richtigen Reihenfolge stehen.

    Die gezeigte Beispiel-Übung kann dreifach genutzt werden:


  • PowerPoint: Das Besondere bei der PowerPoint-Datei ist, dass man die Anzeige des Textes am Bildschirm mit einem Makro beeinflussen kann. Das Makro wird mit der roten Stoppuhr oben rechts in der Übung aufgerufen. Die buchstaben- oder wort- oder satzweise Anzeige ermöglicht es, auf die Fertigkeitsstufe des Schülers flexibel einzugehen. Die buchstabenweise Anzeige ist insbesondere bei Problemen mit der Blickrichtung eine gute Unterstützung. Außerdem wird dem Raten vorgebeugt und zu schnelles, oberflächliches Lesen verhindert. Motivierend ist, dass es die Kinder immer nur mit kleinen Textmengen zu tun haben.

Download der PowerPoint-Datei: Ein Elefant auf Reisen

  • PDF interaktiv: Diese Datei ermöglicht in den Aufgaben das Anklicken der Lösungen. Da das nur mit Hyperlinks auf neue Seiten möglich ist, haben die interaktiven PDF-Dateien sehr viele Seiten. 

Download der interaktiven PDF-Datei: Ein Elefant auf Reisen

  • Druck: Falls man mit ausgedruckten Dateien arbeiten will, kann man die PowerPoint-Datei hernehmen oder die PDF-Übung aus dem gezippten Ordner mit allen Dateien für die Ansicht und den Druck.

Wiederholungen fehlen meist in Büchern, die in Schulbibliotheken stehen, und die oft von Lesepaten zum Üben mit ihren Lesekindern verwendet werden. Wenn zu oft Wiederholungen künstlich eingebaut werden, ist der Fortschritt im Buch gebremst. Die Wiederholungen werden als lästig empfunden. Wenn man mit Lesekindern richtige Bücher liest, sollten die Schüler nicht zu schwach sein. Man kann dann auch Tandemlesen praktizieren, was insbesondere zur Verbesserung der Leseflüssigkeit dient.

Dialoglesen

Eine gute Möglichkeit ist das Dialoglesen. Man liest abwechselnd, einen Satz der Erwachsene, das Kind liest leise mit, den nächsten Satz liest das Kind laut, usw. Und nach ein paar Sätzen wiederholt man den Absatz in umgekehrter Reihenfolge. Die Absätze, die wiederholt werden, sollten aber nicht zu lang sein. Wenn der Erwachsene liest, könnte das Kind mit dem Finger den gelesenen Text nachfahren. Man kann das Dialoglesen auch spannender machen, um sicherzugehen, dass das Kind auch wirklich mitliest. Der Erwachsene erklärt, dass er plötzlich aufhören wird zu lesen und dass das Kind an dieser Stelle dann weiterlesen soll. Der Erwachsene sieht, wann es für das Kind schwierig werden wird, und setzt dann wieder ein. Interessant ist es auch, in Rollen zu lesen, wenn der Text das hergibt, also auch die Stimme der Rolle anzupassen. 

Bei sehr schwachen Schülern lese ich zu Anfang des Trainings auch viel vor. Der Schüler wiederholt in kurzen Abständen. Beim Wiederholen achte ich darauf, dass der Text nicht einfach memoriert wird. Sollte das der Fall sein, muss die zu wiederholende Textmenge erhöht werden. 

Lesepyramide

Meine Lieblingsübung für noch sehr schwache Leser ist die Lesepyramide. Damit lassen sich mit sehr schwachen Schülern mit einfachen Wiederholungen im ständig länger werdenden Satz schnell die ersten Leseerfolge erzielen.

Die Übungsdateien mit den Lesepyramiden enthalten zusätzlich Wörterübungen einschließlich Blitzlesen.

Download der PowerPoint-Datei: Lesepyramiden 05 Vogel

Download der PDF-Datei: Lesepyramiden 05 Vogel

Auf das Niveau kommt es an

Wiederholungen funktionieren nur dann besonders gut, wenn das Leistungsniveau stimmt. Nur so wird die Sicherheit erhöht. Ein zu hoher Schwierigkeitsgrad überfordert und demotiviert. Das wird in der Praxis nicht immer beachtet. Man übt auf dem Level der Klasse, das der Schüler aber bei weitem noch nicht erreicht hat. Zum Beispiel bringt es bei vielen Rechtschreibfehlern oft gar nichts, wenn man alle Fehlerwörter mehrmals richtig schreiben lässt. Der Schüler kann keine Systematik erkennen. Genau die Systematik unserer Sprache ist aber die Grundlage der heutigen Lehre.  

Beim Lesen wird oft mit zu schwierigen Texten geübt. Wenn in der Klasse alle Schüler den gleichen Text lesen, der genau auf dem geforderten Niveau der Klasse liegt, sind schwache Schüler überfordert. Die Übung rauscht bei ihnen durch. Beim Leseband, einer aktuellen Maßnahme zur Verbesserung der Lesefertigkeit durch konsequentes tägliches Üben, versucht man dieses Problem durch Tandemlesen in den Griff zu bekommen. Man bildet Teams, in denen schwache Schüler als „Sportler“ mit guten Schülern (Trainern) gemeinsam lesen. Aber eigentlich bräuchte man für die schwachen Schüler angepasste Texte. Bei FILBY, der Fächerintegrierten Leseförderung Bayern hat man inzwischen ein Variante für DaZ mit einfacheren Texten erstellt. 

Lachen beim Üben

Ich übe sehr viel mit Witzen. Neben meinen PowerPoint-Übungen gibt es auch eine Sammlung in meinem Buch. Das kann für alle schwachen Leser ab der Klasse 2 zum Üben eingesetzt werden.

Grundlage einer Übungseinheit sind sechs kurze Witze, bei denen die Pointe aus einer Auswahl herauszufinden ist. Das gibt gleich Rückschlüsse zum Leseverständnis. Wenn die Pointe gefunden ist, wird der Witz noch einmal zügig gelesen. Danach kommen Wiederholungsübungen, ähnlich wie im Beispiel oben gezeigt, in denen die Wörter der Witze anders arrangiert werden. 

Eine Leseprobe (Kapitel 25) enthält die Übungswörter in Silben zweimal, einmal mit Sprech- und einmal mit Dudensilben.

Buch „Leseförderung mit Witzen, Rezension, Leseprobe und Bestellung: https://der-lesekoch.de/lesefoerderung/mein-uebungsbuch/

Die Kraft der Wiederholung

Die Kraft der Wiederholung wird bei jeder Übung deutlich. Meinen Schülern erkläre ich gleich zu Beginn des gemeinsamen Übens, dass bei mir viel wiederholt wird und warum. Es macht Freude zu sehen und es macht zuversichtlich, wie die Schüler zum Schluss der Übung die Aufgaben viel leichter bewältigen als am Anfang und damit motiviert bleiben.

Siegbert Rudolph

www.der-lesekoch.de

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Siegbert Rudolph

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Siegbert Rudolph

Ehrenamtlicher Lese- und Rechtschreibtrainer

Oberasbach | Deutschland

Ehrenamtlicher Lese- und Rechtschreibtrainer, im bezahlten Arbeitsleben Vorstand für Service und Vertrieb bei DATEV eG

Eigene Plattform – der-lesekoch.de - für alle, die sich mit Lese- und Rechtschreibförderung beschäftigen

Training mit mehr als 120 Kindern, meist Legasthenikern

Zurzeit Begrenzung auf Online-Lese--Förderung weniger Kinder sowie Online-Beratung von Eltern, Lesepatenschulungen, Elternabende und Vorträge an Schulen

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